Artikel in der ORF Nachlese zum Thema Muttertag:
Muttertag steht vor der Tür und aus diesem Anlass veröffentlicht die ORF Nachlese in der Mai Ausgabe 2016 einen Artikel zum Thema Mutter-Kind-Beziehung. Es war mir eine Ehre die Redakteurin, Julia Riegler, mit meinem Fachwissen unterstützen zu dürfen und bedanke mich auf diesem Wege recht herzlich.
Es folgt der abgetippte Artikel sowie Bilder im Anschluss:
Mama ist die Beste!
Am Muttertag sagen wir Danke – für die gemeinsame Zeit, die Liebe und die Erziehung zu sozialen Menschen. Denn es sind unsere Mütter, die uns prägen – ein Leben lang.
Wenn ich groß bin, mach ich so einiges anders“ – ein Vorsatz, den viele Kinder einmal in ihrer Kindheit fassen. Doch ist es einer der am schwierigsten umsetzbaren. Denn wir wiederholen einen ursprünglich erworbenen Bindungsstil immer wieder – sei es in der Partnerschaft oder bei den eigenen Kindern. Erworben haben wir ihn alle vor allem bei unseren Müttern. Sie sind Vorbilder, Freundinnen und Lehrmeister. „Mit ihnen machen wir unsere ersten Bindungserfahrungen“, erklärt die Psychologin Mag. Doris Jeloucan. „Dies beginnt bereits in der Schwangerschaft. Bereits Säuglinge spüren, ob es sicher ist, sie ausreichend Nährstoffe bekommen, ob jemand angemessen reagiert, wenn sie weinen. Dadurch wird Urvertrauen gebildet. Unser Bindungssystem soll sicherstellen, dass wir gut in unserem sozialen Umfeld aufgehoben sind.“
Kindheitserfahrungen.
Bindungen prägen all unsere Beziehungen im Laufe des Lebens – vor allem die Partnerwahl. „Auch die auf dem Vormarsch befindlichen Bindungsängste können dadurch gut erklärt werden“, weiß die Expertin. „Wir kennen sie alle: die bindungsscheuen Männer, aber auch die Frauen, die zwar gerne Nähe hätten, aber sich dann immer wieder selbst sabotieren. Damit will ich nicht sagen, dass für alle partnerschaftlichen Probleme die Mütter verantwortlich sind, aber Sie können davon ausgehen, dass 90 Prozent davon ihren Ursprung in Ihrer ersten Bindungserfahrung haben.“
Liebevolle Strenge.
Ziel ist immer eine sichere Bindung. Das heißt, sowohl Nähe als auch Distanz können gut bewältigt werden. Anteilnahme, Liebe, Körperkontakt, Wertschätzung, Selbstbestimmung, Respekt, aber auch Struktur und Verbindlichkeit heißen die Zauberworte. Nehmen Sie die Bedürfnisse Ihrer Kinder wahr, leiten Sie sie, verbringen Sie Zeit mit ihnen, ohne sie aber in ihrem Freiraum einzuschränken. Fördern Sie ihre Selbstständigkeit, akzeptieren Sie Fehler und lassen Sie Ihre Kinder durchaus – ihrem Alter entsprechend – auch mitbestimmen. „Doch keine Sorge, wenn Sie keine Eltern hatten, die das alles richtig gemacht haben!“, sagt Jeloucan. „Durch die psychologische Aufarbeitung der Kindheit können Sie Ihren Bindungsstil ändern. Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit, selbst wenn Ihnen einige negative Dinge selbst schon passiert sind. Aus der Wissenschaft wissen wir, dass Eltern nur gut genug sein müssen und nicht perfekt. Auch wenn Ihr Kind schon erwachsen ist, ist es immer noch möglich, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und es zu verändern, sodass eine neue Beziehung erarbeitet werden kann.“ Je früher die Beziehungsarbeit allerdings beginnt, desto besser. Gefördert werden kann die Bindung schon im Mutterleib, indem die Mutter liebevollen Kontakt aufnimmt, ihren Bauch streichelt oder singt und für ein sicheres Heranwachsen sorgt, indem sie Stress so gut wie möglich vermeidet und aus reichend Nährstoffe zu sich nimmt. Die ersten 30 Minuten nach der Geburt sind besonders wichtig für die Mutter-Kind-Beziehung. „Hier sind die Kinder überraschend wach und suchen Kontakt“, erklärt Jeloucan. „In den meisten Krankenhäusern legt man deshalb die nackten Babys auf die nackte Haut der Mama – das fördert zusätzlich die Oxytocin-Produktion, eines der wichtigsten Bindungshormone. Viele Mütter berichten mir von psychischen Problemen bei Mutter als auch Kind, wenn das Kind nach der Geburt gleich weggebracht werden muss. Auch beim Stillen wird die Produktion des Bindungshormons angeregt und verstärkt damit die Mutter-Kind-Bindung. Wichtig ist hier jedoch, dass man achtsam stillt, also nicht etwa nebenher mit dem Handy spielt, da das eine sehr sensible Zeit für das Baby ist.“
Beziehung im Wandel.
Anfangs sind Kinder völlig von den Eltern abhängig. Spätestens mit dem Eintritt in den Kindergarten finden erste Trennungserfahrungen statt. „Sowohl die Mutter als auch das Kind müssen lernen, Nähe und Distanz managen zu können und auch andere Menschen wie Omas und Freunde müssen Platz finden“, sagt Jeloucan. „Im Laufe der Jahre werden die Freunde immer wichtiger und die Bedeutung der Eltern immer mehr in den Hintergrund treten. Und das ist gut so. Kinder sollen selbstständig werden und lernen mit anderen in guten Kontakt zu kommen. Ich vergleiche es gerne mit einem Baum, der tiefe Wurzeln hat und deshalb groß werden kann. Wenn Sie vor der Pubertät eine sichere Bindung zu Ihrem Kind aufgebaut haben, können Sie davon ausgehen, dass es gute Entscheidungen treffen wird. Ihr Ziel sollte nur sein, eines zu signalisieren: ‚Ich bin immer für dich da, wenn du was brauchst.‘ Die Herausforderung im Erwachsenenalter ist es dann, seinem Kind auf Augenhöhe zu begegnen und seine Sicht der Dinge anzuerkennen. Im Alter verkehrt sich oft die Bindungserfahrung und die Kinder sorgen für ihre alternden Eltern.“
Mutterrolle neu definieren.
Früher waren die Rollenverhältnisse klar und damit auch die Erwartungen. „Ich schau auf deine Kinder, unterstützte dich finanziell usw., dafür kümmerst du dich um mich, wenn ich nicht mehr kann.“ Heute sind Kinder selbstständiger und damit unabhängiger denn je. „Es passiert nicht selten, dass ein völliger Kontaktbruch passierte, wenn alte Kindheitswunden nicht aufgearbeitet werden können“, weiß die Psychologin aus ihrem Arbeitsalltag. „So zum Loslassen gezwungen zu werden, hinterlässt allerdings bei beiden Parteien Wunden. Für ein heilsames Loslassen empfehle ich von beiden Seiten klar über Grenzen, Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen zu sprechen. Wenn erstmal das neue Territorium geklärt ist, auf dem die Mutter agiert, kann sie ihren Veränderungsprozess starten. Sie kann ihre Rolle neu definieren, aber oft auch eine Neuorientierung in Partnerschaft, Beruf, Freundschaften, Selbstfindung usw. starten, denn diese Rollenneudefinierung hat Auswirkungen auf alle Lebensgebiete. Bei Übergangsproblemen Können Generationendialoge helfen. Leider gibt es in unserer heutigen Gesellschaft wenig gute Vorbilder, wie eine reifende Mutter-Kind-Beziehung aussehen kann.“ Wichtig ist etwa, dass eine Mutter keine Freundin „in dem Sinne“ ist. Freunde wird ein Kind viele haben, aber Mutter hat es nur eine. „Genau deshalb ist es wichtig, dass Sie diese Rolle einnehmen und sie nicht unbesetzt bleibt“, erklärt Doris Jeloucan. „Das heißt nicht, dass sie nicht freundschaftlich miteinander umgehen können, es heißt nur, dass Sie auch die anderen Verantwortlichkeiten einer Mutter – dem Kindesalter entsprechend – übernehmen müssen. Das ist oft unangenehm, da ist es schöner, die verständnisvolle Freundin zu sein als die Mama, die Konsequenzen aufzeigt … Das Schlagwort hier lautet liebevolle Strenge. Kinder jeden Alters brauchen Grenzen und Vorbilder. Seien Sie Vorbild und zeigen Sie Grenzen auf und halten Sie diese ein, dann lernt Ihr Kind auch die eigenen Grenzen und die von anderen zu wahren.“ Die richtigen Voraussetzungen für eine gute Mutter-Kind- Beziehung –auch im Erwachsenenalter.
© ORF Nachlese, Julia Riegler
Wann wurde der Artikel veröffentlicht?
In der Mai 2016-Ausgabe der ORF Nachlese.